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Drecksgeschäft: Glencore Xstrata

Buchbesprechung „Milliarden mit Rohstoffen – Der Schweizer Konzern Glencore Xstrata“ von Multiwatch

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Frag mal auf der Strasse welches das grösste schweizer Unternehmen ist. Nein, nicht Nestle oder Roche und Novartis, Migros und Coop schon gar nicht. Ich habe keine representatierbare Umfrage durchgeführt, aber wage hier mal frech zu behaupten, dass weniger als die Hälfte der Schweizer „Glencore Xstrata“ gesagt hätte. Der Handel mit Rohstoffen wird hierzulande in den traditionellen Medien fast totgeschwiegen. Das hat verschiedene Gründe: Es profitieren einige Regionen (Zug/Baar, Genf, Lugano, Goldküste) vom Steuersubstrat. Glencore hält sein profile seit jeher low. Es gibt zuviele dreckige Details, wenn man den Milliardengewinnen nachgeht. Schlechtes Gewissen macht keinen Spass. Und wir wollen uns ja nicht jeden Tag über die Ungerechtigkeit der Welt aufregen (und die eigene Dreckswäsche will ja auch noch gewaschen werden). Zudem müssen wir Schweizer uns mit einer „unabhängigen“ und deregulierten Fiskal- und Binnenhandelspolitik ja den schon fast verlorenen Wohlstand aus dem teilweise aufgelösten Bankgeheimnis sichern. Was haben wir denn sonst noch? N Bisschen Stabilität und schlechter werdende Bildung. Aber keine Rohstoffe. Also nicht den Steuerzahlern ans Bein pissen bitteschön.
Ich kann, bei der Beschäftigung mit dem Thema Rohstoffe, trotzdem nicht aufhören, mich zu empören. Ich teile diesbezüglich die Meinung von Eva Jolly, der Europaratabgeordneten und Vorkämpferin gegen Wirtschaftskriminalität, dass „die Menschheit in 20 Jahren die heutige Verteilung des Reichtums im Rohstoffgeschäft etwa gleich einstufen wird wie wir heute die Sklaverei.“ (aus „Rohstoff – Das gefährlichste Geschäft der Schweiz“ der EvB, S. 22)
Im Sinne Louis Brandeis teile ich die Devise „Sunlight is the best disinfectant“ und schreibe hier meine erste Buchbesprechung.

Das Sachbuch „Milliarden mit Rohstoffen – Der Schweizer Konzern Glencore Xstrata“ (edition8) sollte ursprünglich einen Titel mit dem Wort „Drecksgeschäft“ haben. Nach Androhung juristischer Schritte seitens Glencore Xstrata verzichteten die Herausgeber Multiwatch auf den prägnanten Titel um der seriösen öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Konzern keine Steine in den Weg zu legen. Nichtsdestotrotz finde ich den Titel treffend und bin gespannt auf mögliche Reaktionen. Aber wahrscheinlich haben wir nicht die interessante Reichweite. Immerhin, du liest.

Nun zum Inhalt: Im ersten Teil gehts um die Geschichte. Seit rund einem Jahr gibt es Glencore Xstrata. Es ist die grösste Unternehmung in der Schweiz und die zwölftgrösste weltweit mit einer Handelsflotte grösser als die britische Marine. Der Megakonzern fördert und verschiebt Rohstoffe wie Öl und Kohle, Kupfer, Blei, Zink, Kobalt, Ferrochrome, undundund sowie Agrarstoffe. Glencore (ehemals Rich + Co) versuchte sich schon immer lowprofile durchzuschlängeln. Xstrata versuchte sich dagegen mit einer selbstgemachten, unverbindlichen „HSEC-Policy“ (Health, Security, Environment and Community) sauber darzustellen. Nun sind sie seit einem Jahr zusammen und auch die Börsenkotierung bringt etwas mehr „sunlight“ auf die Wunde. So beginnt das Buch mit einer Kurzzusammenfassung der Geschichte von Glencore und Xstrata, der neoliberalen Restrukturierung und der Rohstoffdrehscheibe Schweiz. Interessant wie die Schweiz heutzutage arme Länder ausbeutet (–> infosperber)
Im zweiten Teil werden Konflikte rund um den Rohstoffabbau durch Glencore Xstrata beschrieben. Es sind Arbeits-, Umwelts- und soziale Konflikte. Ausserdem wird aufgezeigt wie der Konzern seine Macht missbraucht und wie sie Steuern „optimieren“. Da ich mich in letzter Zeit v.A. mit dem Kongo-Gebiet beschäftgte: Hier ein Beispiel für das Geschäftsgebaren von Glencore Xstrata in Katanga: Glencore Xstrata kauft Mineralien aus Tilwezembe. Brot für alle schreibt: „Die Schere zwischen der Selbstdarstellung von Glencore in ihrem Nachhaltigkeitsbericht und der Realität vor Ort gibt zu denken.“ Viele weitere Beispiele gibts aus Kolumbien, Peru, Argentinien, Südafrika (da schiessen – gekaufte? – Polizisten 34 Mineure tot), Sambia, Australien, Philippinen und aus Bolivien. Im Buch erfährt man, dass im Jahr nach der Fusion von Glencore und Xstrata gemäss eigenen Angaben 27 Arbeiter bei Arbeitsunfällen starben. 2008 bis 2010 starben 56 Arbeiter. Es ist also nicht ganz ungefährlich für den Konzern zu arbeiten. Wenn du aber nicht als Kinderarbeiter in einer Mine in Katanga feststeckst, kann es überaus lohnend sein, für Glencore zu arbeiten. (–> aus „EVB Rohstoff“ 2012 S. 159 „Wären die sechs Glencore-Chefs ein Land und ihr Vermögen dessen Bruttoinlandprodukt, so lägen sie auf der BIP-Rangliste auf Platz 94. Danach folgen 96 reale Länder, die ärmer sind als sie.“)
Im zweiten Kapitel von „Milliarden mit Rohstoffen“ geht es also um Arbeitsauslagerungen, Verhinderung oder Sanktionierung gewerkschaftlicher Aktivitäten, Verschmutzungen, Umweltbelastungen, Vertreibungen und Umsiedelungen, Militarisierung, Spaltung und parastaatliche Strukturen. Der Konzern ist zudem ein Meister im Verstecken seiner Gewinne. Steuern werden systematisch umgangen. Es gibt nicht ein Glencore Xstrata, es gibt Legionen: in Zug, auf den Caymans, im Kanal undundund. Egal ob 3000 Mio oder 10000 Mio Gewinn – die abgelieferten Steuern bleiben ungefähr gleich. Da blickt kein HSG-Professor mehr durch. Da werden Staaten mit „Transfer pricing“ ausgenommen oder durch Auftrennung der Operationen zusätzliche Ausgaben vermieden. Also ein wenig Respekt vor dieser genieal-kreativen Verschleierung der Geschäftsgänge muss ich zugestehen. Aber irgendwie reicht mir dann schon wieder ein einziges Bild von Minenarbeitern im Kongo um mich klar von diesem Sklaven-, Raubtier-, Dschungel-, Minen– und Scheissdraufichfahrnachhersowiesonochmeinenporschezumeinemeigenheim-Neokolonialkapitalismus distanzieren zu können. Aber so ganz will es mir nicht gelingen, weil das Coltan in meinem IPhone ja nicht genau als „sauber“, d.h.z.B. kinderarbeitsfrei, deklariert werden kann (–> Blutige Handys). Vieles wäre (technisch) möglich, aber wo kein Wille, da kein Weg. Glencore will einfach die Rohstoffe möglichst steuerfrei, konzernintern, papiermässig nach Zug holen um sie hier minimal besteuert zu Weltmarktpreisen weiterzuverschachern. Und wir geben uns damit zufrieden. Also wenn du mal wieder Kapazität hast, dich wirklich aufzuregen, lies das! Reg dich auf! Die Geschichte passiert jetzt!

Was tun!
„Sunlight is the best disinfectant“
–> darüber sprechen, Öffentlichkeit schaffen
–> Transparenz fordern
–> Lieferketten offenlegen
–> Steuern an rechtmässige Besitzer zurücktransferieren
–> und ja nicht an Ohnmächtigkeit verzweifeln

GLENCOREXSTRATA PAL from Observadores GlencoreXstrata on Vimeo.

Interessentante, aktuelle Ergänzung auf Infosperber

Befelino

Schreibt über Kultur, Musik und Filme.

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