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MusikSchweiz

PLEASURE DELAYING mit Nicolas Jaar und Moderat

Das Montreux Jazz Festival setzt vermehrt auf Elektronische Musik. Am Red Bull Thursday bot der Getränkeriese gleich zwei angesagten Electronic Acts eine Plattform: Dem Berliner Trio Moderat sowie dem New Yorker Wunderknaben Nicolas Jaar mit seinem Duo Darkside.

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Es regnete in Strömen, mein Atem malte Wolken in die Luft vor meinem Gesicht, wie im Spätherbst. Man schrieb aber den 10. Juli. Ein weiteres Schweizer Sommerwochenende sollte im Dauerregen versinken. Der von Gastgeber Red Bull Schweiz offerierte Champagner half zwischen Sofatalk und Konzert bestens über die Wettermisere hinweg. Und auch über die Ernüchterung der Sofa-Stunde mit dem Trio Moderat.

Die Red Bull Music Academy engagiert sich rund um den Globus im Urban und Electronic Bereich, lädt Poplegenden zu Lectures, fördert junge Künstler und hostet Auftritte wie den RBMA Thursday am Jazzfestival Montreux. Eine gute Sache, zweifelsohne. Nur, dass sich eben nicht alle für Plauderstündchen vor Publikum eignen. Die einen schlagen sich dort sehr gut, weil sie bereits ein fortgeschrittenes Alter und einen reichen Schatz an Anekdoten haben. Somit ist eine Lecture mit Synth-Pop Pionieren wie Giorgo Moroder, Brian Eno oder dem Japaner Ryuichi Sakamoto sehr ergiebig. Diese Herren sind alle mit Lebenserfahrung und Reife gesegnet und reden entspannt über ihre Musik und künstlerischen Visionen.
Jüngere Elektronik Nerds, wie Moderat oder Jaar (nicht zu verwechseln mit seinem Namensvetter Jean-Michel), die schon in einen überhitzten Markt hineingewachsen sind, und die „guten alten Zeiten“ nur aus Interviews mit der Pionier-Generation (siehe oben) kennen, scheint diese Gelassenheit zu fehlen. Wie denn auch? Die Festivalsaison ist kurz, der Kalender dicht. Und im ganzen Reisestress fordern Verträge eben noch Promotion in Form von Medienauftritten.. Oder eben eine Schulstunde für Fans. Diese Lectures sind aber oft vor einem etwas generischen Publikum. Von Nerd zu Nerd wären die Moderat Boys wohl kaum zu halten gewesen mit Anekdoten. Aber hier in Montreux blieb es halt beim netten Plauderstündchen. Und es war nicht die Schuld des Moderators und Mitbegründer der Red Bull Music Academy Torsten Schmidt.
Im Grunde ist unsere Erwartung heutzutage an Musiker und Künstler sehr fragwürdig. Dass dies kommunikative, Mediengewandte- und vorallem Publicity-geile Menschen sind, die auf konstanter Selbstvermarktungskurs sind. Doch genau, weil dies sehr viele tun, funktioniert dann auch die Masche eines Nicolas Jaar. Auch hier wieder die Regeln der Verführung: Mach dich selten, willst du gelten. Ob es bewusste Strategie oder übermässige Scheuheit ist, bleibt Spekulation. Jaars Vater jedenfalls, der renommierte Künstler und Architekt Alfredo Jaar war als Kind dermassen scheu, dass er deswegen zum Psychiater musste. (gemäss eigener Aussage in einem Interview). Früher ging das irgendwie noch, ein Kauz zu sein. Man erinnere an den legendären Sofa-Talk von Tom Waits von 1979 im Australischen Fernsehen.

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Immer dieses Reden!

Es gibt einen, der redet dann aber so richtig ungern. Musiker und DJ Nicolas Jaar, der noch knapp volljährig mit seinem Debütalbum „Space is only Noise“ 2011 sich in die A-Liga der Elektroniker hinauf beförderte. Interviews gibt er in der Regel keine, und ich sollte dann auch nicht die Ausnahme sein. Er, der sich möglichst viel Unabhängigkeit bewahrt hatte, sich nicht von Labeln kaufen lässt, die ihn zu Promo-Terminen prügeln, kann sich das erlauben: Zu schweigen.
Und das auch auf der Bühne, wo er die Kommunikationsverweigerung sehr konsequent verweigert. Wer einmal eine Darkside Show zugegen war, weiss wovon ich spreche. In gleissendem Gegenlicht erkennt man von Jaar und dem Gitarristen Dave Harrington nur Silhouetten und ab und an mal im Auflicht ein konzentriertes Gesicht aufblitzen. Die Darbietung im Jazz Lab, ehemals Miles Davis Hall, beginnt ohne Begrüssung und endet ebenso kommentarlos. Die Dramaturigie der Show lässt sich mit zwei Worten zusammenfassen: Pleasure Delaying. Der Sound nimmt sich in typischer Darkside Manier immer sehr viel Zeit um Spannung aufzubauen, darüber soliert die Gitarre oder Jaars repetitiver monotoner Gesang. In die minimalistische Klangmalerei fallen immer wieder Explosionen , die aber immer genau dann wieder in ihrer Energie zusammenfallen, bevor der pulsierende Beat das Publikum in Euphorie versetzt. Jaar beherrscht die Verführungskunst und weiss, wie man durch das Spiel des Liebesentzugs die Spannung hält. Und dankbar nehmen wir den einen Halbsatz entgegen, den er uns schenkt vor dem letzten Akt der Show. „Thank you, merci beaucoup“. Und wir völlig ungläubig: Es spricht!

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So wenig auf der Bühne geredet wird, umso mehr im Saal. Und wenn sie nicht reden, fotografieren sie sich oder die dunkle Bühnen, oder konzentrieren sich auf den quasi Livestream für ihre Facebook Freunde. Ich sage jetzt etwas Gewagtes: Für Konzertgänger sollten die gleichen Regeln gelten wie für Kinogänger: No filming, no chatting! Diese Zeit wird kommen, wenn es Veranstaltern und Künstler endlich zu bunt wird, vor einem schwatzenden Tabloid-Meer zu musizieren. Wer sich aber von der dauerabgelenkten Menge nicht aus dem eigenen Film zerren liess, dem boten Jaar und speziell Moderat in Montreux einen audiovisuellen Genuss. Melancholische Melodien über auf einer dem Industrial entlehnten Basslinie, den Sampler-Arrangements von Gernot Bronsert aka Modeselektor. Und dazwischen der eingängige Gesang von Sascha Ring aka Apparat. vor gigantischen Visuals von Sebastian Szary. Der Systemausfall von 15 Minuten liess Band und Publikum gleichermassen bangen, ob sich die drei Computer wieder einrenken lassen. Nach erfolgreicher Reset Mission, steigerte sich danach die Show und Publikum wie Künstler gingen in Glückshormonen (und wohl anderen Substanzen) baden.

Nicolas Jaar: „Space is only noise“ 2011:

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Fotos: Jean-Christophe Dupasquier und Torvioll Jashari für Red Bull

Valerie Thurner

Freischaffende Journalistin und Videophilosophin, auf dem Papier magna cum laude Kunsthistorikerin, die aber das Weite vom Kunstbetrieb gesucht hat. Arbeitet für verschiedene Filmfestivals im Programm, Presseoffice und Koordination von Spezialveranstaltungen. Freelancer für: Tagesanzeiger, clack.ch, westnetz.ch, b.o.n.z.

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