Ratgeber Bonz: Soll ich in Lobbyismus investieren?
Gelegentlich beantworten wir Leserbriefe.
Liebes Oszedo
Wegen sinkender Renditen und Unsicherheiten an den Finanzmärkten möchte ich meine Anlagen weiter diversifizieren, vertraue aber meinem Anlageberater nicht. Nun habe ich gestern im Tagi gelesen, dass sich Lobbyismus lohnt. Da hatte ich die Idee, dass das auch was für mich wäre. Sind Investitionen in die Politik auch für Kleinanleger möglich? Wie sind die Marktverhältnisse? Und ist das ethisch vertretbar?
O.
Liebes O.
Wenn man in die Politik investiert, ist das etwa so, wie wenn man einen Fussballverein kauft. Man bestimmt bei Personalentscheiden mit, allenfalls bei der Mannschaftsaufstellung und sichert sich die Loyalität der Fans oder die Dankbarkeit der lokalen Bevölkerung. Beziehungsweise bringt der Lobbyist Gesetzesvorlagen ein, schafft Vertrauen und Mehrheiten. Wer in Politik oder Fussball investiert, dient also dem Gemeinwohl und verwandelt Geld in Einfluss. Hierzulande ist Lobbying und die Monetarisierung durchgesetzer Privilegien sehr kapitalintensiv, für Kleinanleger daher weniger geeignet.
Solche Investitionen müssen nicht teuer sein. So war neulich eine preiswerte politische Partei zum Verkauf ausgeschrieben. Die in der Ukraine registrierte Regionalpartei kann für USD 17’000 übernommen werden, inklusive Vorstand. Im Angebot inbegriffen sind ein neutraler Name (Sieg) sowie ein neutrales Programm (Stärkung der Bürgerrechte und Kampf der Korruption). Dabei handelt es sich lediglich um das ‚Starter-Kit‘. Bei Bedarf können zusätzliches Personal, regionale Niederlassungen und Bewilligungen bezogen werden. Die Partei für die nächsten Wahlen im Oktober startklar zu machen, käme insgesamt auf etwa USD 50’000. Dazu kommen noch Aufwendungen für die Wähler – in der verganenen Parlamentswahl wurde der durchschnittliche Preis für eine Wählerstimme auf USD 25 geschätzt. Aktivisten für Proteste oder Kundgebungen kosten zwischen USD 5 – 10 pro Einsatz, Vermummte mit Knüpplen kriegen knapp das doppelte pro Tag.
Zwar ist es üblich, dass Parteien in der Ukraine gehandelt werden, es kommt allerdings eher selten vor, dass sie, wie in diesem Fall, auf OLX öffentlich angeboten werden. Insofern stellt das Angebot eine seltene Opportunität dar, welche es auch dem vermögenden und politisch interessierten Kleinanleger erlaubt, politische Investitionen zu tätigen. In diesem Zusammenhang denkbar sind auch Investitionen von Interessensverbänden, beispielsweise einer grösseren Facebook-Gruppe, die den Betrag via Crowdfunding aufbringt, um sich auf dem politischen Parkett zu etablieren. NGO’s können direkten Einfluss auf die Politik nehmen, beispielsweise im Kampf gegen ihre eigene Bedeutungslosigkeit oder Tierquälerei. Politische Infranstruktur ist vielseitig verwendbar und kann gegebenenfalls mit militärischen oder religiösen Komponenten kompletiert werden.
Allerdings ist bei politischen Anlagen zur Vorsicht geraten. Der Handel ist immer noch weitgehend unreguliert, zudem muss die hier vorgestellte Investionsmöglichkeit in der Ukraine eindeutig der Anlageklasse der Emergency Markets zugeordnent werden und ist daher spekulativer Natur.
Politische Investitionen sind ethisch vertretbar und ein Gewinn für die Gesellschaft. Es ist besser, wenn möglichst grosse Teile der Bevölkerung an der Korruption partizipieren können, als wenn das einigen wenigen Oligarchen vorbehalten ist. Der öffentliche Handel von Parteien eines korrupten Systems ist deshalb gleichbedeutend mit einer Demokratisierung kommerzialiserter Politik. Dabei werden Transparenz und eine breit abgestützte Repräsentation der bewirtschafteten Population gefördert, wobei das marktwirtschaftliche Umfeld eine höhere politische Effizienz verspricht. Aufgrund des Entwicklungspotentials für den Finanzplatz sowie der möglichen Bereicherung direktdemokratischer Institutionen, sollten Anleger diese Entwicklung deshalb mit Aufmerksamkeit verfolgen. Ob sich diesbezüglich ein globaler Trend abzeichnen wird oder ob das Inserat der Ukrainischen Partei eine Ausnahme ist, bleibt abzuwarten.
Es liegt im bürgerlichen Grundverständnis mit Geld verantwortungsvoll umzugehen, daher ist es an der Zeit, dass die Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Wählen war gestern!
Oszedo
Einerseits beissend-amüsante Satire – auf die andere Seite lässt es einen gerade mit dem Bezug auf die Ukraine auch ein bisschen leer schlucken. Danke dafür!