Die Gamingszene und die Toleranzkontroverse
Ich beschäftige mich leidenschaftlich mit Games, bösartig ausgedrückt kann man diese Leidenschaft auch auf Suchtniveau stellen und man läge nicht allzu weit daneben.
Daher konsumiere ich diverse Blogs und Youtubechannels, die sich dem Bewerten und Kommentieren von Games verschrieben haben. In letzter Zeit sind mir einige Kontroversen aufgefallen die mich zum Nachdenken brachten.
Kontroverse 1: Goodbye Deponia
Am 11. November 2013 erschien bei „Rock, Paper, Shotgun„, einem etwas anspruchsvolleren Blog für Kritiken über PC-Spiele, ein Zeriss zum dritten Teil der Deponia-Serie: Goodbye Deponia.
Der Autor des Reviews, John Walker, schien besonders angewidert von einer ,seiner Meinung nach tief rassistischen Szene, aber auch von dem grundsätzlich negativen und bösartigen Grundton der Serie.
Ich hatte das Spiel zu diesem Zeitpunkt bereits durchgespielt. Ich fand es unterhaltsam und einen würdigen, wenn auch etwas deprimierenden Abschluss der Serie. Diese Art Zeriss zu lesen schockierte mich daher ein bisschen und warf für mich die Frage auf, ob ich ein abgestumpftes, unsensibles Individuum bin weil ich diese Spiele genossen hatte, ohne solche kritische Gedanken über die Handlungen zu haben.
Deponia ist eine Adventure-Serie des deutschen Studios Daedalic Entertainment, welches beim Deutschen Entwicklerpreis für das Jahr 2013 satte 4 Awards absahnte: Bestes Studio, beste Story (Goodbye Deponia), bestes Adventure (Goodbye Deponia) sowie bester Sound (Goodbye Deponia). In der Trilogie spielt man hauptsächlich den Charakter Rufus, ein dummer, arroganter, sexistischer aber extrem optimistischer Charakter. Rufus ist davon besessen seinem „elenden Dasein“ auf dem Müllplaneten (Deponia) zu entfliehen. Sein Ziel ist Elysium – eine Stadt in den Wolken. Dazu entwickelt er immer wahnwitzigere Erfindungen die natürlich allesamt komplett versagen und ihn und sein Umfeld in Lebensgefahr bringen. Dementsprechend ist er auch wenig beliebt. In der Szene, die John Walker ankreidet, verkauft Rufus einen schwarzen, weiblichen Charakter an einen Drehorgelbesitzer, für den sie danach in einem komplett unangemessenem Outfit als Äffchen tanzen muss. John Walker sieht darin einen rassistischen Witz weil der Charakter dadurch mit einem Affen verglichen werde. Das ist ein Gedanke der mir beim Durchspielen gar nicht in den Sinn kam. Rufus Verhalten in dieser Situation war auch für mich schrecklich – denn er hatte diesem Charakter eigentlich versprochen zu helfen wieder zu ihrem Freund zurück zu gelangen. Diese Trennung hatte Rufus natürlich selbst verursacht. Notabene war ihr Freund, ein Charakter der Rufus früher in der Serie geholfen hatte, der Verrat ist also doppelt hinterhältig. Rufus macht sich aber über sowas keine Gedanken – er ist nur darauf konzentriert wie er das momentane Ziel erreichen kann, egal mit welchen Mitteln.
Deponia ist im Original Deutsch – getestet wurde von John Walker allerdings die englische Ãœbersetzung. Ob daher die unterschiedlichen Auffassungen der Serie stammen? Auf jeden Fall würde mich sehr interessieren ob jemand der Deponia gespielt hat mit seiner Kritik einverstanden ist. In den Kommentaren bei RPS meldet sich übrigens sogar einer der Verfasser der Story, Jan „Poki“ Muller-Michaelis unter dem Pseudonym pokinsson mehrmals zu Wort und versucht sein Spiel und die Szene zu verteidigen. Seiner Meinung nach solle sich der Spieler eben gerade nicht mit Rufus identifizieren und diese Handlung verurteilen. Er wird dabei von den Kommentatoren nicht umbedingt positiv begrüsst, und es bleibt die Frage, ob diese das Spiel ebenfalls so aufgefasst haben oder schlicht John Walker blind folgen.
Kontroverse 2: Gone Home
Im August 2013 erschien „Gone Home“ – ein Adventurespiel des Indieentwicklers The Fullbright Company. Das Spiel schlug bei vielen Spielekritikern extrem positiv ein – während viele Spieler kein gutes Haar an dem Spiel liessen. Eine Diskrepanz die sich an den momentanen Metacriticscores (Stand 26. Februar 2014) gut ablesen lässt:
Was ist also Ursache für diese Uneinigkeit zwischen Kritikern und Publikum? Zwei Dinge kristallisieren sich heraus: Viele der Spieler bemängeln dass es sich gar nicht um ein richtiges Videospiel handle – sondern vielmehr um ein Vehikel für den Transport einer Geschichte. Es ist wahr dass „Gone Home“ nicht durch Gameplay oder Rätsel brilliert – den grössten Teil der Zeit verbringt man damit Gegenstände/Briefe und ähnliches zu entdecken die eine Geschichte erzählen. Der andere Ausschlag für die Kontroverse ist allerdings dass die Geschichte die erzählt wird von den Erfahrungen eines lesbischen Teenagers berichtet. Es ist ein erschreckender Fakt dass Homophobie und Seximus in den USA immer noch erstaunlich verbreitet sind – und an einigen der Kommentare kann man dies auch deutlich ablesen. Diese negativen Bewertungen sind definitiv zu verurteilen und sollte man bei der eigenen Bewertung des Spiels nicht in Betracht ziehen. Allerdings zieht das Ganze noch weitere Kreise: Viele Kommentatoren bei Reviews zu Gone Home sprechen von einer „Agenda“. Ihnen zufolge verfolgen viele Spielekritiker eine Kampagne gegen Sexismus, über Gender Issues und Homosexualität. Jedes mal wenn das Spiel „Gone Home“ auch nur erwähnt wird tauchen diese Diskussionen wieder auf – und sie arten oft zu etwas ziemlich Hässlichem aus. Viele der Spieler scheinen sich nicht mit diesen Themen befassen zu wollen oder scheinen „genervt“ davon, dass diese immer wieder angesprochen werden.
Die Gameindustrie ist nicht gerade dafür bekannt besonders vielfältig zu sein. Frauen sind in vielen Entwicklerschmieden immer noch massiv untervertreten und viele Spiele werden gezielt auf männliche, weisse Jugendliche als Zielpublikum hin entwickelt. Insbesondere ist es verständlich wenn Kritiker jeden Lichtblick in dieser Hinsicht positiv herausstellen wollen. Die Frage ist lediglich ob dies dann legitimiert dass spielerische Mängel bei einem Review manchmal in den Hintergrund zu treten scheinen.
Kontroverse 3: „Dickwolves“
Einem Aufschrei entgegen gesetzt sahen sich im August 2010 auch die Autoren des beliebten Gamingwebcomic Penny Arcade, Jerry Holkins und Mike Krahulik. Normalerweise ist das eigentlich gang und gäbe für das Duo, denn PA macht oft ziemlich derbe Witze. Einer ihrer beliebtesten Figuren ist zum Beispiel der sogenannte Fruit Fucker 2000, ein Küchengerät welches Sex mit Früchten hat um Fruchtsaft zu produzieren. Das klingt natürlich genau so lächerlich wie eigentlich harmlos, trotzdem fühlen sich viele von solchen Scherzen auf den Schlips getreten. Besonders Aufmerksamkeit erweckte allerdings der Comic der am 11. August 2010 erschien. Darin mokieren sich Holkins und Krahulik über die Questkultur in MMO’s, in diesem konkreten Fall eine Quest in dem es darum geht fünf Sklaven zu befreien. Aus technischen Gründen erscheinen („respawnen“) solche Questziele ständig wieder – hat der Spieler aber alle 5 Sklaven befreit ist die Quest abgeschlossen und die neu erschienen Sklaven erfüllen für den momentanen Spieler keinen Zweck mehr (allerdings für andere Spieler die die selbe Quest noch absolvieren müssen). Der Titel des Comics ist „The Sixth Slave“ und handelt davon wie ein Sklave den Spieler anbettelt ihn doch auch freizulassen. Der Spieler lehnt ab mit dem Verweis auf die genannten fünf Sklaven, die für die Erfüllung der Quest nötig seien. Eine Kontroverse löste dabei der folgende Satz aus, den der Sklave benutzt um sein Elend darzulegen: „Every night, we are raped to sleep by the dickwolves.“ Kritiker sahen dies als Verhamlosung von Vergewaltigung an. Holkins und Krahulik machten sich zuerst über die Kritiker lustig und verkauften sogar zeitweise ein Dickwolves T-Shirt in ihrem Shop.
Später wurden diese T-Shirts aus dem Handel zurückgezogen. Krahulik machte später (PAX 2013) aber auch deutlich, dass er über diese Entscheidung alles andere als glücklich war. Er sah in den T-Shirts nicht eine Unterstützung von Vergewaltigung sondern ein Statement über sein Recht auf freie Meinungsäusserung, das er durch die heftige Kritik gefährdet sah.
Auf dem Twitter account @cwgabriel – Mike Krahulik’s account entstand auch eine weitere Kontroverse als er „transphobischen Müll“ (laut Storify.com) tweetete. Er selbst gab danach ein Statement ab, dass seine Aussagen nicht darauf abgezielt hätten transsexuelle Menschen zu beleidigen. Die Wahrheit dürfte irgendwo zwischen den beiden extremen Sichtweisen liegen.
Nach dieser zusätzlichen Kontroverse entschlossen sich die Entwickler von The Fullbright Company (Gone Home, siehe oben) übrigens dazu PAX – eine der grössten Spielemessen der USA, initiert von Penny Arcade, zu boykottieren, aufgrund ihres „wachsenden Diskomforts mit den Organisatoren der Messe“. PAX unterstützt aktiv Indieentwickler mit speziellen Panels und ist eine wichtige Messe für diese Entwickler.
Fazit
Was ist also der Schluss aus all diesen Kontroversen? Gaming war einmal unpolitisch, aber als Mitglied der Industrie muss man immer mehr darauf achten keine politisch inkorrekten Statements zu machen – sei dies unbeabsichtig oder zu Provokationszwecken. Insbesondere Kritiker sind dann nämlich sehr schnell bereit mit der Moralkeule auf einen einzuprügeln.
Zusätzlich muss sich noch einiges ändern bezüglich der Demographie der Entwickler. Denn Frauen sind mit 47% der Gamer eigentlich bereits kein Nischenpublikum mehr – aber gerade in Entwicklungsstudios oder als spielbare Charaktere sind sie momentan im Vergleich noch extrem untervertreten, oder oft für ein junges, männliches Publikum übersexualisiert.