Ukraine Safari
,,Book is good, but to understand you must come here.“ So fing es an. Ich interviewte Yuri (einen Maidan Aktivisten) über die aktuelle Lage in der Ukraine, anschliessend diskutierten wir. Es folgte eine Einladung, in die Ukraine zu kommen, um mir selbst ein Bild der Lage zu machen. Da mir hier in Zürich gerade die Decke auf den Kopf fiel, machte es mir wenig aus, von einem Chaos ins andere zu wechseln.
Maidan ist der Name des Unabhängigkeitsplatzes in Kiev. Vor über einem Jahr war er Schauplatz von blutigen Protesten, welche zum Sturz der damaligen Regierung führten. Seitdem steht Maidan für die Hoffnung auf eine Regierung ohne Korruption, die Hinwendung zu Europa. Mittlerweile haben die Aktivisten von damals die Kontrolle über die Politik wieder verloren und es macht sich Ernüchterung breit. Dazu kommt ein Krieg ohne Kriegserklärung, ein Waffenstillstand mit Toten, eine aufgerüstete Zivilgesellschaft.
Ich komme morgens gegen sieben in Kiev an, will einen Kaffee trinken, mich von der Zugfahrt erholen. Als ich auf Englisch bestelle, stellt sich mir ein Tourist aus Litauen vor. Er ist darauf konzentriert sich auf den Beinen zu halten, eine junge Frau neben ihm hilft ihm dabei. Als ein doppelter Cognac vor ihm steht, nimmt er Haltung an und stürzt das Teil runter. Danach textet er mich zu, lobt die hiesigen Frauen, seine Begleitung lächelt entschuldigend.
Ich suche mir ein Hotel mit Blick auf den Maidan. Sollte während meines Aufenthalts in Kiev eine Regierung gestürzt werden, wollte ich das auf keinen Fall verpassen. Abends (bzw. fast morgens) komme ich einer Bar mit einem Geschäftsmann ins Gespräch. Wir sprechen über Offshore, wie er zu seinem Geld kam, mit was für Leuten er mittlerweile Geschäfte mache und dass es eben Lämmer und Löwen gebe. Dass ich meine Drinks nicht mehr selbst bezahle, versteht sich von selbst.
Kiev ist nur Zwischenstation. Bevor ich abreise, schreibe ich noch einen kurzen Post über eine Separatistenbewegung, die ein Gebiet in der Ukraine und Moldau für sich beansprucht. Als ich später aus dem Zug steige und auf mein Handy schaue, entdecke ich eine SMS ,, … the Embassy of Ukraine to Moldova … wishes you a pleasent experience!“ OK, Spam.
Ich war eine Zeit lang in einer Unterkunft für Flüchtlinge untergebracht, Vertriebene aus dem Kriegsgebiet im Osten. Wenn ich etwas über den Krieg erfahren wollte, dann am besten von denen, die gerade von dort kommen. Ziemlich schnell entwickelte sich die Idee, mit Flüchtlingen Interviews zu führen. Wir begannen dann mit der Zeit alle möglichen Leute zu interviewen. Soldaten, Aktivisten, Leute der Inneren Sicherheit, Studenten.
Unsere ersten Interviews machten wir am Tag als ich bei den Flüchtlingen ankam. ‚Bloggera swizera … safari … balitika‘. Gegen zwei Uhr morgens, Yuri übersetzte, ich machte mir Notizen. Das war so nicht geplant. Wir waren betrunken. Es wurde dann recht schnell ernst und ernüchternd. Die kommenden Tage und Wochen machten wir Audio Aufnahmen oft mit Kaffee bzw. Tee. Transkripte dieser Aufnahmen (und falls möglich Ãœbersetzungen) kommen in den nächsten Wochen ins Netz. Bei den Interviews handelt es sich um ungefiltertes Material, aus allen möglichen Blickwinkeln und Lebenssituationen heraus, der Schwerpunkt liegt auf den Interviews mit den Flüchtlingen.
Das hat wenig mit seriösem Journalismus zu tun. Ich bemühte mich um Professionalität, letztlich wurde aber improvisiert und das meiste ergab sich kurzfristig. Priorität hatte meine Sicherheit und die meiner Gesprächspartner. Es ist klar, dass niemand alle seine Karten offen auf den Tisch legt, besonders mag dies für Flüchtlinge gelten. Bei den meisten Gesprächen mit ihnen hatte ich anfangs eine gefasste Person mit Haltung vor mir, nach 20 min. blickte ich oft in eine einstürzende Fassade voller Ratlosigkeit und den Tränen nahe – oder darüber hinaus.
Ein paar Tage vor meiner Abreise. Ich kam beiläufig auf das SMS der Botschaft zu sprechen. Niemand in der Runde hatte eine Erklärung, aber das Interesse war geweckt. Man hatte sich gegen Abend mit jemanden verabredet, der es wissen müsste, vermutlich hatte er eine Erklärung. Die hatte er dann aber auch nicht wirklich, hochgezogene Augenbrauen, amüsierte Gesichter. Er rief dann jemanden an. Nach ein, zwei Stunden kam der dann, eher reserviert und nüchtern. Einige Bier später wurde dann das Thema SMS lanciert. Die Beratungen zogen sich hin, vielleicht 20 min. Das abschliessende und allseitig akzeptierte Urteil des herbeigezogenen Experten lautete dann: Spam. – Gar nicht so einfach, Nachrichten von Werbung zu unterscheiden.
Eine Beobachtung vom Tag, als ich in Zürich ankam und gleichentags im Xenix rum hing. Zürich mag ein Kühlschrank sein, aber man hört mehr Gelächter als in der Ukraine. Und das Lachen klingt anders, mehr wie Lachen.