Konzertbericht: Steven Wilson
Beim Prog-Rock wird das Einfache komplizert zusammengebaut und daraus etwas Geniales konstruiert. So ähnlich funktionierte das auch beim Einlass in den Komplex gestern Abend. Eine Computerpanne verursachte ein Durcheinander beim Ticket scannen. Je nachdem, wann man das Ticket gekauft hatte, musste man sich entweder in diese oder in jene Reihe stellen. Das ganze kann man jetzt zwar nicht unbedingt als genial bezeichnen, funktionierte aber trotzdem ganz gut. Man wollte sich ja schliesslich die gemütliche Weekend-Stimmung nicht schon am Sonntag Abend versauen. Ausserdem war im Kompelx heute genügend Platz vorhanden. Kein Grund für hektisches Gedränge also.
Einmal drinnen angekommen, wurde man bereits mit sphärischen Klängen und blauer Beleuchtung empfangen. Mir war nicht so ganz klar, ob ich damit auf das Konzert von Steven Wilson vorbereitet werde oder auf den nächsten Tauchgang der Nautilus.
Eigentlich traf beides zu. Auf das Publikum wartete nämlich ein Deepdive in musikalische Klangwelten von und mit Steven Wilson – von dem man sich nicht sicher war, ob er nun der Vater oder der Gott des Prog-Rocks war.
Was Prog-Rock überhaupt ist, ist schwer zu beschreiben. „Halt progressiver Rock“ oder „Rock gemischt mit anderen Elementen“ wären Erklärungsversuche.
Ich würde sagen, Prog-Rock entsteht, wenn man einen Jazz-Musiker auf LSD in den Bandraum einer Rockband einsperrt.
So tönten auf jeden Fall die ersten Songs von Steven Wilson’s Auftritt in Zürich. Free Jazz Elemente gefolgt von fetten, rockigen Riffs. Das ganze in abenteuerlichen Taktwechseln, was ein zustimmendes im-Takt-mitnicken zeitweise verunmöglichte.
Das ganze ist Teil der Hand.Cannot.Erase Tour – seines Soloprojekts, bei der Zürich eine der ersten Stationen in Europa war. So kamen wir auch in den Genuss Versuchskaninchen zu spielen, für einige Songs, die noch nie vorher live performt wurden.
Steven Wilson steht aber keineswegs alleine auf der Bühne. Er wird begleitet von einer Band, die quasi seinen musikalischer Leatherman darstellt – immer zur Stelle und für jede Situation gewappnet. Aus simplen Melodien zauberten sie anspruchsvolle Songstrukturen, wechselte von leise zu laut, von schnell zu langsam und beherrschten alle ihre Instrumente virtuos.
Zugehört wurde übrigens ziemlich andächtig. Mitwippen ging ja während der Taktwechsel schlecht. Stadl-Klatschen war nun wirklich nicht angesagt und ein Mosh-Pit wäre auch eher unangebracht. Dafür wurde am Schluss eines Stücks umso euphorischer geklatscht. Ziemlich beeindruckend, was herauskommt, wenn man ein paar simple Melodien etwas unkonventionell zusammenbastelt.
Darum war Steven Wilson für mich nicht der Vater oder Gott des Prog-Rocks, sondern ganz einfach der Macgyver des Rocks.